„Wir wollen Gebührenfreiheit vom Kindergarten bis zur Hochschule“

Schule und Bildung

Hannelore Kraft ist die neue Landesvorsitzende der NRWSPD. Die 1961 in Mülheim/Ruhr geborene Diplom-Ökonomin hat berufliche Erfahrung als Unternehmensberaterin. Hannelore Kraft ist verheiratet und Mutter eines 14-jährigen Sohnes. Von 2001 bis 2005 war sie Ministerin des Landes Nordrhein-Westfalen – erst für Bundes- und Europaangelegenheiten, dann für Wissenschaft und Forschung. Seit Juni 2005 führt sie als Vorsitzende die SPD-Fraktion im Landtag von NRW.

Im folgenden Interview stellt Hannelore Kraft klar: NRW hat eine bessere Bildungspolitik verdient. Sie plädiert für ein Recht auf Betreuung ab dem ersten Lebensjahr, für Gebührenfreiheit, für längeres gemeinsames Lernen in der Gemeinschaftsschule und mehr Ausbildungsplätze. Sie erläutet die Eckpunkte ihres NRW-Programms für die beste Bildung für alle.

Die SPD in NRW will das Thema Bildung zu einem zentralen Feld der Auseinandersetzung mit der Landesregierung machen. Was kritisieren Sie an der Bildungspolitik von CDU und FDP?
Hannelore Kraft: Die Landesregierung hat sich in der Bildungspolitik ideologisch eingemauert. Trotzig verweigert sie eine Debatte darüber, wie die Chancen für Kinder und Jugendliche in NRW verbessertwerden können. Statt dessen wird bei den Kleinsten gespart, Studenten müssen Gebühren zahlen und das von CDU und Liberalen verabschiedete Schulgesetz sorgt eben nicht für mehr Bildungsbeteiligung und mehr Chancengleichheit. Der Zugang zu Bildung wird erschwert. Bei der Landesregierung klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander.
Was muss aus Ihrer Sicht anders werden?
Hannelore Kraft: Wir haben in der Zeit unserer Regierungsverantwortung sicher nicht alles richtig gemacht und manchmal zu spät oder nicht energisch genug auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert. Um so entschiedener wollen wir jetzt eine umfassende Bildungsdiskussion anstoßen: Wie können wir erreichen, dass jeder Mensch mit seinen individuellen Fähigkeiten und Talenten optimal gefördert wird. Wir wollen die „Beste Bildung für alle“.Das hilft dem Einzelnen und kommt auch derWettbewerbsfähigkeit unseres Landes zugute.
Wie sehen Ihre Eckpunkte für gute Bildung aus?
Hannelore Kraft: Die frühkindliche Förderung ist von entscheidender Bedeutung.Wir wollen deshalb einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr. Die Ganztagsangebote müssen für alle bedarfsgerecht ausgebaut werden. Der Besuch des Kindergartens soll schrittweise gebührenfrei gestellt werden.Wir haben der Landesregierung bereits vorgerechnet, dass dies ohne zusätzliche Schulden zu finanzieren ist. Aber statt mehr Geld in die Bildung zu stecken,wird bei den Kurzen gekürzt.Das ist der falsche Weg.
Die Landesregierung hält am dreigliedrigen Schulsystem fest. Was ist Ihre Alternative?
Hannelore Kraft: Die PISA-Studie hat gezeigt, dass wir im internationalen Vergleich an Boden verlieren. Zahlreiche Studien kritisieren:Das bestehende Schulsystem sortiert Kinder viel zu früh in bestimmte Schubladen – Haupt- oder Realschule sowie Gymnasium. Viele Talente werden so vergeudet, Chancen vertan.Wir wollen Kinder deshalb länger gemeinsam lernen lassen. Weniger Ausgrenzung und mehr Chancen – das geht meines Erachtens nur in und mit der Gemeinschaftsschule.
Was macht die Gemeinschaftsschule aus?
Hannelore Kraft: In der Gemeinschaftsschule sollen alle Kinder in den Klassen fünf und sechs gemeinsamen Unterricht erhalten. Anschließend wird der Unterricht in der Gemeinschaftsschule auch weiterhin unter einem Dach und von einem Kollegium erteilt.Je nach Entscheidung vor Ort können dann Klassen für Hauptschüler,Realschüler und Gymnasiasten angeboten werden. Aber auch ein vollständig integrierter Unterricht ist möglich! Klar ist: Alle weiterführenden Schulen werden Gemeinschaftsschulen. In jedem Fall besitzt die Gemeinschaftsschule nur eine Schulleitung und ein gemeinsames Kollegium. Ich glaube, dass das der Weg ist, um wirklich allen Kindern alle Chancen zu geben. Die jetzige Regelung, wonach die Schullaufbahn schon mit neun oder zehn Jahren festgelegt wird, wird den Kindern nicht gerecht.
Wird die SPD im Fall einer Regierungsübernahme die von Jürgen Rüttgers eingeführten Studiengebühren wieder abschaffen?
Hannelore Kraft: Eindeutig ja.Wir wollen Gebührenfreiheit vom Kindergarten bis zur Hochschule. Das ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Für viele junge Menschen aus weniger betuchten Familien ist ein Studium künftig nur noch über einen Kredit finanzierbar. Zudem zeigt sich schon jetzt: Gebühren schrecken Abiturienten vom Hochschulbesuch ab. Wir haben 10 Prozent weniger Neuanmeldungen an den Unis – das ist eine Katastrophe für den Standort NRW. Wir brauchen aber nicht weniger, sondern mehr Studenten.
Sie haben gesagt, sie wollen eine umfassende Bildungsdiskussion. Wie sieht es mit denjenigen aus, die nach dem Schulbesuch eine Berufsausbildung anstreben?
Hannelore Kraft: Es gibt in Nordrhein-Westfalen seit Jahren nicht genügend Ausbildungsplätze. Das ist gerade in Zeiten einer konjunkturellen Belebung nur schwer erträglich.Die Wirtschaft bleibt in der Verantwortung. Aber wir müssen den jungen Leuten helfen. Daher muss neben der bewährten dualen Berufsausbildung künftig auch an Berufskollegs die Möglichkeit zu einem qualifizierten und anerkannten Abschluss geschaffen werden. Deshalb müssen die über- und außerbetrieblichen Ausbildungsstätten und Weiterbildungszentren mit den Berufskollegs kooperieren. Junge Menschen dürfen nicht von der Schule in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Ich werde alles tun, damit Menschen qualifiziert und nicht einfach alimentiert werden.
--- Video: Hannelore Kraft zum Thema "Die beste Bildung für alle"

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